Gutes Benehmen und Charme gehören nicht zu Deutschland?
Ich bin ganz allein und niemand anders will
in die U Bahn ein- oder aussteigen
ins Kaufhaus
im Café bestellen
beim Bäcker Brot kaufen
sitzt im Bus
So könnte ich endlos weitere Beispiele aufzählen.
Gut möglich, dass ich einfach zu sensibel bin. Gut möglich, dass meine Vorstellungen von gutem Benehmen und charmantem Verhalten nicht kompatibel sind mit der Moderne.
Nur eins ist sicher. Es liegt nicht an dieser Stadt.
Es liegt am Einzelnen.
Ist Charme ausgestorben?
Kennst du das? Du gehst
mit einem Bekannten in ein Café und während er -
oder auch sie, aber nehmen wir mal an es ist ein Mann. Ich red aber nicht von Dates oder so. Vielleicht ein Kollege oder ähnliches -
voran geht, glaubst du noch, es ist schlicht normal, dass er dir nicht die Tür vor der Nase zufallen lässt, während ihr euch angeregt unterhaltet.
Pluff, stehst du vor der Tür, grade noch rechtzeitig, sonst hättest du jetzt eine lädierte Nase. Der hat einfach die Tür zufallen lassen.
Hallo Manieren. Schlaft ihr noch?
Völlig baff folgst du jetzt ins Café, ihr steht nebeneinander und die Bedienung fragt dich, was du haben möchtest. Sie sieht dich an und noch bevor du antworten kannst, bestellt dein Bekannter. Als wäre er angesprochen und ganz allein am Tisch. Die Karte hat er gleich wieder hingelegt.
Hallo Manieren. Schlaft ihr noch?
Ich hab ja mal gelernt, dass, nehme ich die Karte zuerst, ich sie weiterreiche und frage, ob meine Begleitung schon weiß, was sie möchte.
Aber nun. Vielleicht hat dein Bekannter heute einen stressigen Tag und seine guten Manieren liegen tatsächlich noch zuhause im Bett.
Irgendwann, mitten im Gespräch, ruft dein Bekannter die Bedienung mit „Ich will zahlen“.
Hallo Manieren. Schlaft ihr noch?
Ich habe mal gelernt, dass ein Mindestmaß an Respekt bedeutet, dass ich meiner Begleitung sage, ich möchte los und ob wir zahlen können.
Seine guten Manieren schlafen nicht. Sie sind auch nicht im Stress abhanden gekommen. Er hat einfach keine. Sonst wäre eine liebenswürdige Erklärung dem schlechten Benehmen gefolgt.
Jeder kennt sie.
Die Bahn hält, alle wollen aussteigen. Aber da sind die, die direkt nach dem Ausstieg stehen. Vor der Tür. Ob nun Massen hinter ihnen rausdrängen, interessiert sie nicht. Jetzt klingelt ihr Telefon und dieses Gespräch kann man nur an der Bahnsteigkante vor der U Bahn Tür führen. Naja, oder vor der Rolltreppe.
Und wehe, du machst einen Spruch a la „Schön, dass sie auf mich warten, ist aber unnötig“. Du erntest den Blick eines Grenzdebilen. Sicher.
Wenn du Glück hast, begegnet dir nicht gleichzeitig derjenige, der einsteigen muss bevor die anderen ausgestiegen sind. Der muss sofort einsteigen. Ansonsten kann er schließlich nicht weiter seine Whats App schreiben.
Versuch es mal mit „Grüßen sie ihren Chatpartner lieb von mir“. Das kriegt der gar nicht mit. Gibt nur ihn in dieser Welt. Seine guten Manieren sind nicht in einer App abrufbar. Dazu müssten die dort programmiert sein.
Wenn du jetzt meinst, naja, Smartphone und so machen die Welt rücksichtsloser, falsch.
Ob gestern oder heute. Beim Bäcker gab es schon immer schlechtes Benehmen am Tresen.
Du stehst beim Bäcker am Tresen. Wartest brav, bis die Schlange vor dir abgearbeitet ist und willst dein Brot kaufen. Garantiert kommt die abgehetzte Mittfünzigerin aus ihrem Großraumbüro oder der dreißigjährige, gestresste Student und du hörst nur noch“ Geht ganz schnell“ und drängelt sich vor. Natürlich nicht ohne dich in die Seite zu stossen. Manchmal jovial „Sie haben doch Zeit“ und bevor du antworten kannst bestellt der schon 34 belegte Brötchen und 34 unterschiedliche Kaffee to go.
Manchmal Wortlos und zack:“7 Stücken Käsesahne bitte. Für die Betriebsfeier am Gründonnerstag 2017“
Du hast ja Zeit. Die nicht. Zumindest nicht für gute Manieren. Mit Charme, also einem freundlichen Lächeln, der Bitte vorgelassen zu werden, erinnert man sich gar nicht daran, wie lang es dann wirklich gedauert hat.
Kopfnuss. Du sitzt im Bus. Und keineswegs die übermütigen von Testosteron geplagten Jugendlichen knallen dir ihren Rucksack an den Kopf. Es ist der Typ im Anzug. Oder die Frau mit den ondulierten Haaren.
Rucksack mindestens von Nike, besser Gucci. Und so groß als ginge er auf Trecking Tour nach Nepal. So macht das Labelschild so schöne blau grüne Hämatome an der Stirn. Sag mal was. „Hey, das tut weh“
Garantierte Antwort: „Da kann ich doch nix für wenn das hier so eng ist“. Ne freundliche Entschuldigung?
Rucksack absetzen? Wo käme man denn hin mit guten Manieren? Nicht nach Nepal. Die guten Manieren sind weder in Nepal noch in der Müllerstraße liegen geblieben. Sie sind einfach nicht vorhanden.
Dieses schlechte Benehmen zieht sich bis in die eigenen Bekannten- und Freundeskreise. Zusagen werden ohne Erklärung nicht gehalten. Wenn ich etwas zusage und nicht mehr möchte, sage ich das. Oder wenn ich verhindert war und nicht rechtzeitig absagen kann, entschuldige ich mich.
Ich entledige mich mittlerweile sehr schnell solcher Leute. Trotzdem bin ich, wenn es- zum Glück relativ selten- doch wieder passiert, baff. Ich habe also mit Leuten zu tun, die mit dem D Zug durch die Benimmregeln gerast sind. liege ich also falsch mit meinem Anspruch?
Klar, mancher sagt jetzt, was ich meine, ist Rücksicht. Nein. Ich meine gutes Benehmen, Das beinhaltet Rücksicht, ist aber noch viel mehr.
Gutes Benehmen macht den Umgang einfacher. Ein Lächeln und der Gedanke, du bist eben nicht allein auf der Welt - zum Glück – kann vieles vereinfachen.
Charme, das ist für mich Liebenswürdigkeit im Umgang. Charme hilft sogar, wenn man sich mal schlecht benommen hat.
Ich glaub, ich bin zu alt für diese Benimm Banausen.
Und morgen ignoriere ich die einfach.