Ist das noch ein Bad oder der Proberaum der Schilder Manufakturen?
Freizeit. Erlebnis.
Kurzurlaub für alle ohne den eigentlichen Zweck eines Schwimmbades zu vergessen. Das war der Plan seit Ende der 1970 er Jahre. Am 01.02.1987 war es soweit. In West Berlin eröffnete das erste und einzige heute noch existierende Wellenbad. Mitten in Kreuzberg. Zuletzt Teil saniert 2014, energetische Sanierung, ein paar LED Lampen. Es steht auf der Liste der zu sanierenden Bäder (fast hätte ich "bedrohte Arten" geschrieben)
Das Kreuzberg der 1980 er Jahre war Punk, Kreativität, es war laut, multikulturell und ein Ort für diejenigen, die jeden Tag die Welle machten. Kreuzberg war kein Wellness Ort, kein Kurzurlaub, höchstens für Touristen aus Westdeutschland, die mal kurz fühlen wollten, wie es ist, in einer von Mauer umgebenen freien Welt zu leben. Sie haben es nie verstanden. So 36. Hier latschten Leute wie David Bowie, Nina Hagen und viele Musiker, Künstler völlig unbehelligt umher, wir lebten mit der Mauer und waren trotzdem Grenzenlos frei. Kreuzberg war auch Alt 68 er, Demonstration, Frustration und Hoffnung, Dead Kennedys, Politik, Hausbesetzung, Drogen und der bunteste und schönste Teil eines Lebensraums.
In dieser Umgebung wirkte das Bad damals auf mich völlig fehl plaziert. Und doch. Aus der Rückschau passt es wunderbar genau an diesen Ort. Trash. Damals wie heute.
Jedes Mal wenn ich das Bad sehe, denke ich an Gottfried Benn und den letzten Absatz aus seinem Werk "Blaue Stunde"
"Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt- wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau"
Nein, nicht weil das Bad ein Ort der Ruhe ist. Es ist blau. Von außen. Imposant. Halbrund und ein daran anschließender Teil aus Glas und Stahl. Wände. Hoch. Irgendwie hat es mich berührt. Steht da rum, wie vor 30 Jahren, nur ich scheine mich verändert zu haben. Das Bad nicht.
Bereits an der Eingangstür empfängt den Besucher ein erstes Schild. Freundlich. "Herzlich willkommen im Wellenbad"
Das war es dann aber auch schon fast an Freundlichkeiten.
Das Foyer ist mit bunten, abwechselnd leuchtenden, rechteckigen Lampen ausgestattet. Hallo 1980 er Jahre Lichtorgel Schlagerparty. Ich hatte plötzlich Ilja Richter und seinen Ruf "Licht aus- Spot an" im Kopf und musste grinsen. Ein Alt Punk steht in einem Alt Bad und wartet auf Disco Musik Beschallung.
An der offenen Kasse waren zwei Mitarbeiter, einer stand vor dem Tresen. Ein Tresen, bei dem ich mich gefragt habe, was man mit der Höhe sagen will. Wie immer sagte ich "Hallo". Nur der Mann, der an der Kasse saß, grüßte zurück, also fragte ich ihn nach den benötigten Münzen für Spinde und Föhne. Seine freundliche Antwort machte mir Mut, nachdem das Schweigen der anderen beiden mich ärgerte und ich fragte, ob ich ein Foto vom Foyer machen darf. Es war niemand anderer vor Ort. Der Mitarbeiter antwortete in typisch Berliner Art "Aber dann muss er (schaute auf den vor dem Tresen stehenden Mitarbeiter) mit aufs Foto". Ich sagte, dass ich keine Personen fotografiere wenn möglich oder sie unkenntlich mache und schaute dabei den gemeinten Mitarbeiter an. "Was wollen sie mit dem Foto" bellte der Mann mich laut an. Ich bin nicht schwerhörig und nicht schüchtern, trotzdem trat ich einen Schritt zurück. Was war das denn? Wahrheitsgemäß antwortete ich "Ich möchte das für mich und für eine Beschreibung auf meinem Blog". Er herrschte mich an "Sie dürfen kein Foto machen. Sie veröffentlichen das und das ist nicht erlaubt, sie brauchen dafür eine Genehmigung" Ich war kurz davor, seinen Ton nach zu äffen, unterließ es aber. "Deshalb frage ich ja, ok, dann lasse ich das" "Nein, sagte ich doch".
Ich war restlos bedient. Was bilden sich manche Leute eigentlich ein, wer sie sind, dass sie so mit Kunden umgehen? Ein nein kann man auch freundlich sagen.
Kurz überlegt, ob ich noch etwas dazu sage, habe ich es dann aber vorgezogen durch das Drehkreuz zu gehen, ich weiß nicht, ob ich die Contenance hätte wahren können.
Zum Foyer: Vor dem Umbau gab es eine gut sichtbare Gedenktafel für die Rückkehr von nach Shanghai geflohenen Juden. (Danke für den Hinweis @mueslibar36) Ich hab sie nicht gesehen. Update: sie ist gut sichtbar, ich hab sie einfach übersehen.
Hinter dem Drehkreuz muss man Treppen hoch (oder man nimmt einen Aufzug). Überall Schilder. Was verboten ist, wo es lang geht, warum, was wo. Wegführung geht anders.
Man landet, wenn man die richtige Abzweigung und Etage trifft, im Umkleidebereich. Und in den 1980 er Jahren mit vielen Farbanstrichen, die längst wieder abblättern. Ranzig. Schmutzig. Wirr.
Sammelumkleiden. Mit gefühlt 5000 Spinden, teilweise kaputte Schlösser. Eine kreischende Kindergruppe und noch kreischigere erwachsene Begleiterinnen zerrten an den kleinen Badegästen. Ich kam mit einer Dame ins Gespräch, die nur die Augen rollte und während eines kurzen Gesprächs meinte, man solle doch endlich ein neues Schwimmbad bauen. Ja.
Aus den Umkleiden eine weitere Treppe, mit weiteren Schildern, kommt man zu den Duschen. "10 Minuten duschen" steht auf einem Schild. Auf anderen, was so erlaubt ist. Nichts. Trotz der skurrilen Umgebung musste ich grinsen und wartete auf eine Mitarbeiterin mit Stoppuhr. Ich dusche so lange ich brauche. Allerdings wurden die von mir getesteten Duschen nicht wirklich warm. Verranzt. Voller Haare, die Toiletten eine Zumutung. Das liegt zwar auch an der offensichtlichen, nicht vorhandenen Zwischenreinigung, aber auch an Nutzern, die keine Spülung zu kennen scheinen.
Treppe (war klar, oder?) zum Badebereich. Ich wusste nicht mehr, wo genau ich mich gerade befinde nach all den Treppen. Aber, ich hatte es geschafft. Ich stand...unter einer tollen Stahlkonstruktion.
Wellenbecken, Plansche, Restaurantbereich. Offen, hell, leider nicht sauber wie man das erwarten dürfte. Wertfächer vorhanden. Ich habe den ganzen Bereich abgesucht, aber keinen Mitarbeiter gefunden. Also lieber die Handtuchtasche mit Duschutensilien mit ans Becken nehmen. Ich sah Leute essen, außerhalb des vorgesehenen Bereichs. Kühl. Aber das liegt nicht an mangelnder Heizung, sondern daran, dass ich geduscht war und der Weg zu weit, da friert man leicht.
Treppen. Sagte ich schon, oder?
Ein 25 Meter Becken unter niedriger Decke, die hübsch gestaltet ist und ein schönes Licht durch das Fenster.
Kein Mitarbeiter zu sehen.
Dafür ein Kuriosum in Berlin.
Die "Schwimm Autobahn" Und ein Schild (was sonst)) mit der Aufschrift "fast lane" davor.
Jetzt fragen sich manche, was das ist, eine "Schwimm Autobahn". Eine Sackgassen Einbahnstrasse und keineswegs für schnelles, durchgängiges schwimmen geeignet. Für Kicks, bei normaler Temperatur, ja. Es handelt sich um zwei Bahnen, die an jedem Ende mit einem Torbogen (ja, wie in einem Garten) geöffnet sind. Heißt, in jeder Bahn nur in eine Richtung geschwommen wird, nebeneinander und keineswegs die schnellen dann in der Logik links. Am Ende der Bahn geht keine Rollwende, man muss unter dem Bogen durch und das Bild zeigt, was ich meine. Ideal für Nutzer, die nebeneinander schwimmen möchten.
"Fast" ist nur eins: die Schnappatmung, zumindest bei mir. Wassertemperatur 30 Grad mindestens. Gefühlt war es 32 Grad. Es war relativ leer, außer in der "Schwimm Autobahn". Alles geleinte Bahnen. In jeder Bahn wenig Leute, einige Kinder, in der Außenbahn schwammen nur ein Herr und eine Dame machte Gymnastik an der Längswand, also versuchte ich es dort. Für mich zu warm. Das mag am Asthma liegen, an meiner noch vorhandenen Geschwindigkeit.
Warum gibt es in einem 30 Grad Bad eine "fast lane"? In einem anderen 30 Grad Bad liest man schon an der Kasse der Hinweis "Für sportliches schwimmen nicht geeignet". Was denn nun, Berliner Bäder Betriebe? Keine "fast lane" in Schwimmbädern mit normaler Temperatur, aber in einem Warmbad, das ist doch widersinnig.
Ich habe schnell aufgegeben, aber mich noch umgesehen. Von der Stahlkonstruktion im anderen Teil des Bades hingen ein paar Kabelstrippen rum, guckten Kabel (Leitungen) aus der Wand. Was ist das? Kein Anschluss unter dieser Leitung? Während ich mich umsah entdeckte ich doch noch drei Mitarbeiter. Hinter einer Säule. Beim rausgehen fragte ich nach einem hallo wie viel Grad das Wasser hat. Nur die Mitarbeiterin grüßte zurück, der Mann reagierte nicht, und sie sagte "30 Grad". Dann guckte sie mich an und sagte "zum schwimmen ungeeignet". Sie war zwar nicht gesprächig, aber das muss ja nicht sein.
Noch den Wellengang beobachtet. Toll für Kinder, kein Vergleich zu Wellen in Bädern, die ich zum Beispiel auf Langeoog erleben durfte.
Rückweg: "über sieben Treppen musst du geh'n".
Föhn, mit 5 Cent, 4 Föhngänge mit Blick auf eine ranzige Wand mit Sichtluken.
Trepp trab, zum Ausgang.
Fazit
Ich hatte irgendwo aufgeschnappt, das Bad hätte nur 27 Grad Wasser und das für möglich gehalten, weil man vielleicht nicht mehr hoch heizen kann. Das ist eine Fehlinfo gewesen. Kürzlich sagte der zuständige Stadtrat, dass die Berliner Bäder Betriebe das Frauenschwimmen abgeschafft hätten, weil zu viele Zuschauer in das Bad schauen würden. Ich stand eine ganze Weile dort und bin soweit möglich um das Bad rum gegangen. Kein einziger Mensch stand dort.
Kreuzberg 2017 ist immer noch etwas besonderes. Trash. Steht da rum, wie vor 30 Jahren, nur ich scheine mich verändert zu haben. Das Bad nicht, es ist nur alt.
Für Kinder nett, zum baden ok, gut gemeint.
Es soll saniert werden. Statt Schiffe, Geld versenken. Lasst es. Baut neu. An gleicher Stelle. Oder macht es zum Museum. Mit Pool. Und senkt den Eintritt.
Weitere Ausstattung:
Wellenbecken
Nichtschwimmerbecken
Kinderbecken
Wasserrutsche
Sprungbecken
Sauna
EC Karten Zahlung seit Monaten nicht möglich
Es gibt in diesem Bad des kommunalen Betreibers keinen Wasserlift. Das muss sofort geändert werden.
Ich habe in diesem Bad das berührendste Erlebnis der letzten 10 Jahre in Bädern gehabt. Ein Rollstuhlfahrer konnte bis zur Beckenumrandung gelangen. Dann musste er auf dem Boden an den Beckenrand robben um ins Wasser zu kommen. Bewundernswert, der Mann, der das auf sich nimmt, um schwimmen zu können, das rührt mich auch jetzt und ich fordere die Berliner Bäder Betriebe auf, umgehend einen Wasserlift zu installieren.
Ich bedanke mich bei Herrn T. für das Foto mit der Stahlkonstruktion. Völlig unkompliziert hat er es mir im Auftrag der Berliner Bäder Betriebe zur Verfügung gestellt
Das Bad ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Ich war von Mariendorf mit der U Bahn Linie 6 bis Kochstraße gefahren. Dort in den M 29 Bus, bis direkt vor die Tür "Spreewaldplatz". Hinweisschilder braucht es nicht. Das Gebäude ist auffällig, steht frei.