Neugestaltung Bäderpolitik
Es kann nicht sein, dass die Berliner Bäder Betriebe, weil Neubau nicht gefördert wird, für mehrere Millionen einzelne Bäder sanieren, während andere quasi vor sich hin rotten. Das muss sich grundlegend in Berlin ändern. Die Sanierung von alten, längst unmodernen Bädern - und das nicht nur in Energieffizienzz oder Ausstattung- ist wirtschaftlich ein Desaster.
Derzeit besteht ein Investitionsstau von über 100 Millionen Euro.
Bei technischen Problemen werden hier ein paar Hunderttausend Euro investiert und dort eine halbe Million. Bis zum nächsten Ausfall der Technik. Sanierungen der Energieeffizienz, ohne Verbesserung dessen was für den Besucher sichtbar und nutzbar ist, bringt keine neuen Besucher in Bäder.
Es nützt jetzt nichts mehr, darüber zu lamentieren, wer verantwortlich ist. Man muss die Gegenwart betrachten und handeln.
Es gibt Bäder in Berlin, da muss man dankbar für jeden einzelnen Betriebstag sein.
Ohne ein neues Bäderbauprogramm werden weitere Bäder ersatzlos untergehen. Die Folge ist ein Land der Nichtschwimmer.
Neues Denken erfordert einen Schritt nach dem anderen zu machen und nicht den letzten Schritt vor dem ersten. Neues Denken erfordert Mut, Kreativität, Transparenz, Beteiligung. Neues Denken erfordert eine Landespolitik die interessiert ist an Erneuerung der Bäderlandschaft ohne teure, unhaltbare Versprechen. Es können nicht alle Bäder in Berlin so wie sie sind- alt, ineffizient, unmoderne Besucherbereiche- erhalten werden. Das ist traurig, aber nötig.
Gegenwart: Bädersterben, Besucherschwund, hohe Nichtschwimmerquote
Zukunft: Funktionsbau, Neubau vor Abriss
Vergangenheit: Erhalt Städtebaulich wertvoller Bäder
Gegenwart: Sofortmaßnahmen in der vorhandenen Bäderlandschaft
Attraktivitätssteigerung von Bädern
Eine Attraktivitätssteigerung in dem Ausmass, den eine Kommune leisten kann, besteht im ersten Schritt darin, Öffnungszeiten für bereits vorhandene potentielle Nutzer zu erweitern und die Schwimmfähigkeit zukünftiger Nutzer zu verbessern.
Schritt 1 Vorhandene Wasserfläche zur Verfügung stellen
Der Betreiber muss umgehend, auch mit kreativen und ungewöhnlichen Lösungen, sämtliche Wasserfläche von 6- 23 Uhr zur Verfügung stellen. Die Politik muss den Weg frei machen um dem Betreiber kommunaler Bäder mehr Handlungsfreiraum bei der Gewinnung von Personal zu geben.
Die Politik muss Sorge tragen, dass alternative Übergangslösungen möglich werden.
Hierzu kann die Vermietung von derzeit
ständig leer stehender Wasserfläche in Bädern an Firmen (Schwimmschulen) gehören. Bei entsprechender Sicherstellung der Nutzung durch die Öffentlichkeit (festgelegte Zeiten) und qualifiziertem
Personal sollte dies losgelöst von der Betriebsaufsicht (Stichwort Verpachtung Sommerbäder) des kommunalen Betreibers geschehen. Kreative Nutzungskonzepte leerstehender Nebenflächen in
Hallenbädern erstellen. Stichwort „Pop Up“. Ein Wettbewerb kann auch diejenigen einladen, für die
bürokratische Formalien zu hoch erscheinen. Die Entscheidung welche Konzepte realisierbar sind wird von einem Gremium getroffen dessen Mitglieder weder Mitarbeiter noch Träger von Mandaten sind.
So kann der Einflußnahme persönlicher Lobbyinteressen vorgebeugt werden. Derzeitige Nutzer von Gastroeinrichtungen müssen zu einer einheitlichen, zuverlässigen Öffnung veranlasst werden. Ihnen
muss eine freiere Gestaltung ihres Angebots ermöglicht werden. Allen Beteiligten muss klar sein, dass es sich um temporäre Lösungen handelt die unter keinen Umständen manifestiert werden in
Bädern, die nicht erhalten werden können. Alle Nutzer zahlen Entgelt. Dazu zählen auch Vereine. Vereine können entbunden werden von der Betriebsaufsicht durch den Betreiber und mit entsprechenden
Mitteln selbst Fachangestellte ausbilden und einstellen. Frei werdendes Personal wird in anderen Bädern eingesetzt.
Schritt 2 Reform des Schulschwimmens
Fast 60 % der Kinder, die die Grundschule verlassen, sind Nichtschwimmer. 60
%, die potentiell täglich Gefahr laufen zu ertrinken.
Der erste Schritt zur Senkung der Nichtschwimmerquote kann nur die Reformierung des bestehenden Systems des Schulschwimmens sein.
Das heißt, die Landespolitik sorgt aus den entsprechenden Haushalten für die Installierung sogenannter fester Schwimmtrainer in ausreichender Zahl in den Bädern zu festen, unverrückbaren Zeiten.
50 % der Wasserfläche aller Bäder stehen in der Zeit von 9- 14 Uhr Montag bis Freitag ausschließlich dem Schulschwimmen zur Verfügung. Die politische Ebene des Bezirks sorgt, aus den entsprechenden finanziellen Mitteln, für den Transport der Kinder zwischen Schule und Schwimmbad und deren Begleitung.
Die Landespolitik schafft ein entsprechendes Staatssekretariat Schulschwimmen. Einer Kommission aus Mitgliedern der Verbände (DSV, BSV, Inhabern von A Lizenzen, weitere) obliegt die Festlegung der Qualifikation der Schwimmtrainer und deren regelmäßiger Überprüfung. Schwimmtrainer die im Schulschwimmen tätig werden dürfen keine Ausübung der Trainingstätigkeit für und in Vereinen oder dem Betreiber der kommunalen Bäder gleichzeitig ausführen. Die bezahlte Tätigkeit als Trainer in eigenen Schwimmschulen oder als Angestellte von Schwimmschulen muss untersagt sein. Ihnen soll freigestellt sein, in Nebentätigkeit als Rettungsschwimmer tätig zu werden. So soll jegliche Bevorteilung von Vereinen, Besitzern von Schwimmschulen und Betreibern von Bädern ausgeschlossen werden. Die Festlegung der (Tarif) Entlohnung und Ausgestaltung unbefristeter Arbeitsverträge obliegt dem Staatssekretariat Schulschwimmen. Das Staatssekretariat legt fest, dass für je 5 Nichtschwimmer und für je 12 Kinder die schwimmen können mindestens ein Trainer im Schwimmbad anwesend sein muss.
Ein „Seepferdchen“ ist Nichtschwimmer. Die Schwimmfähigkeit ist frühestens mit der Fähigkeit 5 Meter zu tauchen, 5 Minuten am Stück schwimmen und einem Sprung ins Wasser ohne jede Hilfestellung und Hilfsmittel gegeben.
Zu führende Anwesenheitslisten sind für Schule, Eltern, Bezirksverantwortliche und Landespolitik unter Einhaltung des Datenschutzes einsehbar und unentschuldigte Abwesenheit wird gemäß der Zuwiderhandlung gegen die Schulpflicht zeitnah geahndet.
Zukunft: Bäderbauprogramm statt Sanierung
Schritt 3 Schaffung von Funktionsbädern
Nutzer kann man nur befähigen oder gewinnen, wenn man die Voraussetzung schafft die Nutzungsfähigkeit, das Schwimmen, zu erlernen.
Ob nun Bäder sterben, weil das Schulschwimmen scheinbar von Schulen nicht mehr geleistet werden kann oder Schulen dies nicht mehr als wichtig einstuften oder Schulschwimmen weniger leistbar wurde weil Bäder untergegangen sind, ist für eine zeitnahe Behebung der Nichtschwimmerquote unerheblich. Diese Frage zu beantworten ist in einer akuten Situation nicht die Aufgabe der Kommune. Die Kommune muss jetzt eine Lösung finden. Ursachenforschung kann nach Behebung des Problems erfolgen.
Der Bau von Funktionsbädern muss grundsätzlich vor Abriss erfolgen. So wird sicher gestellt, dass zukünftig Schulschwimmen auch dann stattfindet, wenn es in Berlin mal wieder länger dauert. Zeitgleich verliert der Betreiber auch die Nutzer nicht, die bereits Stammnutzer von Bädern sind.
Funktionsbäder können insofern attraktiv gestaltet sein, als dass der Bau zunächst einfacher, zweckmäßiger Elemente zum Beispiel durch sogenannte Baukastensysteme erweitert werden kann. Teilbare Schwimmbecken in denen unterschiedliche Wassertemperaturen herrschen, Erweiterung mit Gastronomie, Sauna, Whirlpools und so weiter. Ein Beispiel von vielen bietet das Konzept Simply Swimming.
Neubau vor Abriss
Seit Jahren wird in Berlin von zwei Multifunktionsbädern geredet ohne jeden sichtbaren Fortschritt. Der Plan, zwei große Bäder zu bauen, die eine zentrierte Versorgung darstellen sollen, widerspricht dem Leitbild des „Größten Bäder Betrieb Europas“ und vernünftiger Daseinsvorsorge.
Wachsende Stadt braucht mitwachsende Infrastruktur und dazu gehören Funktionsbäder. Kommunen dürfen sich nicht als Konkurrenz der privaten Thermen und Erlebnisbädern im Umland und in der Stadt sehen.
Kommunen haben den Auftrag zur Daseinsvorsorge und auch bei veränderten Ansprüchen der Gesellschaft gehört weder die Versorgung mit Saunen noch anderer Vergnügungseinheiten dazu. Der Bau von zwei Multifunktionsbädern wird weder die Nichtschwimmerquote senken noch tragen diese zwei Bauten zu Wohnortnaher Versorgung bei.
Der Bau dieser Bäder kann parallel erfolgen, sollte aber keine Priorität haben. Die Standortfrage sollte evaluiert werden. Großprojekte in Außenbezirken sind wenig zielführend wenn in allen Bezirken Wasserfläche leer steht.
Schritt 4 Multioptionsgesellschaft
Das Konzept innerhalb von Bädern möglichst viel zu bieten wird mit dem Bau der benannten Multifunktionsbäder abgedeckt. Eine tatsächliche Steigerung und Schaffung von Multioption entsteht wenn Fußläufig von Bädern oder im Gebäude weitere Angebote geschaffen werden. Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfe und ähnliches ermöglicht Eltern den Besuch des Schwimmbads ohne Kinder. Lesungen, Ausstellungen, Einkaufsmöglichkeiten, Veranstaltungen ermöglichen Eltern die Erledigung von Alltagsgeschäften während die Kinder im Schwimmbad Spass haben oder das Schwimmen lernen.
Eine maßgebliche Multioptionalität bietet das Angebot Wasserfläche außerhalb der festgelegten Öffnungszeit zu buchen und zu nutzen. Das heißt, Interessierte, z.B. Inhaber von Jahres- und Mehrfachkarten als Bonusoption (Stichwort Kassenautomat) buchen sich zu einer vom Betreiber angegebenen Zeit ("Early Bird Swim" und "Midnight Swim") und Gruppengröße (z.B.mindestens 20) ohne Zusatzkosten in ein Bad. Buchung ohne Zusatzkosten für Arbeitnehmer „High Noon Swim- gesunde Mittagspause“. Eine Ausgestaltung solcher Buchungsoptionen als Gesamtpakete „High Noon Swim inklusive gesundem Mittagessen und Getränk“ oder „Midnight Swim inklusive gesundem Buffet und Cocktails“ zu einem erhöhten Kostenbeitrag bietet den Teilnehmenden ein Gefühl der Exklusivität. Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, für Senioren, für unterschiedliche Interessengruppen können weitere Multioptionen sein. Alle diese Optionen müssen regelmäßige Angebote sein.
Erste Finanzierungsideen
Der kommunale Betreiber erhält derzeit
sogenannte investive Zuschüsse. Gebunden. Die bereits erfolgte dauerhafte Erhöhung sollte aufgestockt werden und durch Änderung der gesetzlichen Vorgaben für den
Neubau frei gegeben werden. Mindestens zwei Drittel dieses Zuschusses muss für den den Bau von Funktionsbädern eingesetzt werden. Die verbleibenden Mittel werden eingesetzt um die bestehenden Bäder
in Betrieb zu halten. Den konsumtiven Zuschuss gibt es weiter. Eine Erhöhung ist nur sinnvoll, wenn
dem Betreiber gleichzeitig, wie oben beschrieben, mehr Möglichkeiten zur Personalausstattung gegeben werden. Eine Erhöhung des Zuschusses muss eng an den Verwendungszweck gebunden sein
(Stichwort: keine wie auch immer gestaltete, auch keine legale Verschiebung dieser Zuschüsse)
Die Politik sollte dafür Sorge tragen, dass eine Finanzierung durch Fördermittel aus Land, Bund und EU und privaten Mitteln, z.B. von (lokalen) Unternehmen erfolgen kann. Diese Mitfinanzierung durch freie Unternehmen bedeutet keine Privatisierung, sondern trägt dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ Rechnung und muss für diese Mitfinanzierer attraktiv sein.
Es sollten die Voraussetzungen für die mitfinanzierenden Firmen geschaffen werden an den jeweiligen Standorten sichtbar zu werden. Das kann, in klar festgelegten Raumgrößen die Eröffnung einer Filiale sein oder auch die Anbringung des Hinweises „gefördert von“. Werden Unternehmen, insbesondere regionale, in Infrastruktur eingebunden, befördert das nicht nur die Verbundenheit zum Wohnortnahen Bad, es fördert auch das Besucheraufkommen.
Erhalt von Bäderepochen im Stadtbild
Eine Stadt besteht aus dem Zusammenspiel von Erhalt Städtebaulicher Epochen und Neubau. Das gilt auch für Bäder. Die Politik sollte festlegen, dass aus den Bäderbau Epochen jeweils mindestens ein Bäderbau erhalten werden muss. Alle Bäder in Berlin sind bereits historisch. Die Freibäder der 1950 er Jahre, aber auch früher erbaute Hallen wie das bereits unter Denkmalschutz stehende Stadtbad Mitte oder die Stadtbäder Spandau Nord, Neukölln oder die Alte Halle in Charlottenburg. Diese Bäder sind ohne Zweifel erhaltenswert. Diese genannten Hallenbäder sind Sightseeing Fahrten wert auch ohne dass man dort schwimmen will.
Ein Konzept fehlt und sollte von entsprechend versierten Touristikplanern und Entwicklern erarbeitet und in Berlin Touristik eingebunden werden.
Das Gremium sollte auch berücksichtigen, dass aus der ehemaligen DDR epochale Bäderbauten erhalten werden müssen. Dazu zählen z.B.entweder die Schwimmhalle am Baumschulenweg oder in der Holzmarktstrasse. Typische Bauten in Berlin West sind die Kombibäder oder auch das Stadtbad Tiergarten. Die Freibäder in Berlin gehören zu Hunderten von Freibädern die in sehr ähnlicher Art im Land gebaut wurden. Sofern sie an Kombibäder angebunden sind, sollten sie nur erhalten werden, wenn die finanziellen Mittel für die Sanierung der von Besuchern genutzten Bereiche vorhanden sind. Auch für die Freibäder sollte gelten, Neubau vor Sanierung. Erhalt der Freibäder mit "Charakter". Bei Erhalt von Bädern ist nicht die heutige Sicht auf Bauästhetik maßgebend, sondern der Bau, der als typischster seiner Zeit gelten kann. Kriterien sollten z.B. Bausubstanz, architektonisch Richtungsweisend, Standort sein.
Die Festlegung welche Bäder als „architektonisch oder epochal“ wichtig gelten sollen, sollte durch ein Gremium erfolgen. Die Mitglieder können z.B. Architekten, Geschichtswerkstatt Berlin, sich anderweitig mit Bädern beschäftigende Personen (z.B. Autoren des Buches „Bäderbau in Berlin“, Arbeitskreis Freunde historischer Schwimmbäder, Historiker) sein. Alle Mitglieder des Gremiums dürfen nur Personen sein, die weder an noch in noch beim Bau von Bädern wirtschaftlich profitieren. Die Mitglieder dürfen keine Parteipolitische Funktion ausüben und keine zukünftigen Auftragnehmer im Bezug auf den Erhalt der Bäder sein. Die Festlegung der Kriterien, welche Bäder erhaltenswert sind, kann in einer, z.B. von Medien initiierten Veranstaltung beginnen und sollte innerhalb relativ kurzer Zeit festgelegt werden. Es muss dabei verhindert werden, dass Bäder in die engere Auswahl zum Erhalt kommen, die zwar stark frequentiert und deshalb eine breitere Unterstützung finden, aber aufgrund von Bausubstanz, ‚Totsanierungen‘ und verbauten Gebäuden keine „wertvolle“ Bäderarchitektur darstellen.
Bäder gehen zu lassen ist traurig. Eine Kommune hat die Aufgabe ihren Bewohnern die Realität offen zu legen. Realität in Berlin ist eine wundervolle Bäderlandschaft, die mit der derzeitigen Politik, den derzeitigen Mitteln, der derzeitigen Sanierungsentscheidungen und einer nicht vorhandenen Nutzeranzahl aufgrund der hohen Nichtschwimmerquote nicht zu erhalten ist. Das Interesse an Bädern muss aus der Gesellschaft entstehen. Einer Gesellschaft die an Gestaltung beteiligt, über Entscheidungen informiert und in Politik direkt und unmittelbar eingebunden wird.
Verband der Berliner Bäderbesucher gegründet