In Berlin das Sommerbad mit der, für mich, am schwersten zu rekonstruierenden Geschichte.
In mühevoller Recherchearbeit ist es mir gelungen, ein paar der Geheimnisse zu entdecken.
Zeitaufwand, Kosten und Frust- es siegt doch immer die Faszination Schwimmen gestern und heute
Recherchearbeit ist mit vielen Umwegen verbunden, kostet viel Zeit, Geld und ganz häufig rennt man dabei in Sackgassen. Ob nun online, weil jedes Archiv andere Tools nutzt, gefühlt 435 unterschiedliche Bedienungsanleitungen und man sich in jedes erst einfuchsen muss. Oder offline, wenn man, manchmal auch mit langer Anreise, vor Ort im Archiv sitzt, real 40 Akten a 300 Blatt durchlesen muss, oft in Sütterlin oder unleserlicher Handschrift alles versucht zu entziffern und dann ohne Ergebnis nach Hause fährt.
Das frustriert, manchmal führt es bei mir dazu, dass ich tagelang keine Lust mehr habe und denke, ach, das bringt doch nix.
Aber dann packt mich doch immer wieder die Neugier, Ehrgeiz oder einfach ein Satz in irgendeinem Buch gelesen oder im Bus ein Satz, aufgeschnappt und ich denke über neue Rechercheansätze und Wege nach.
Oft sind es andere, mit denen ich zu vielen unterschiedlichen Aspekten Recherche spreche, die mich, ohne es zu wissen, motivieren.
Die kleinen Erlebnisse, Alltagswelt rund ums schwimmen, ob nun der heutigen oder längst vergessener Zeiten, sind es, die mich faszinieren.
Manchmal treffe ich auf Menschen, die sich anschließen, die mit recherchieren und kurzfristig begeistert sind. Das bringt Enttäuschung mit sich, weil ich mich immer so freue über jeden, der Spass daran hat, historisches aufzubereiten. Ich kann aber auch verstehen, dass der Frust viele demotiviert.
Motivation
Bei meiner Recherche zum Sommerbad Staaken West wurde ich initiativ von André Görke vom Tagesspiegel unterstützt. Ohne dass ich es wusste, hatte er von meiner Recherche gelesen und im Spandauer Newsletter- den man kostenlos hier bestellen kann- einen Zeitzeugenaufruf gestartet. Es fand sich eine Dame, mit der ich telefonierte und die von sogenannten " Freiwilligen Arbeitseinsätzen" berichtete und sie zeitlich einordnen konnte. Ihre Erinnerungen an das kalte Wasser und die schöne Geschichte eines Klassenkameraden, der schwimmen nicht mochte und statt Schwimmunterricht auf dem Sportplatz laufen 'musste', sind genau die nur vermeintlich kleinen Geschichten, die Geschichte lebendig machen.
Ihr Mann, der zunächst dachte, dass er sich falsch erinnert, hatte einen weiteren Tipp geliefert. Er glaubte zu erinnern, dass das VEB Plastverarbeitungswerk etwas mit dem Sommerbadbau zu tun haben könnte. Danke den beiden, die ihre Erinnerungen mit mir geteilt haben.
Diese Zeitzeugen waren der Anlass im Kreisarchiv in Friesack zu recherchieren. Und Bingo.
Die Dame dort im Archiv war mir ebenfalls eine gute Tippgeberin, denn sie meinte etwas zu dem Sommerbad in einem Ratsbeschluss gelesen zu haben. Dafür vielen Dank.
Sackgasse im Archiv?
Nachdem ich zwar im Kreisarchiv einiges finden konnte, schien es so, als würde die Suche immer schwieriger. Akten der Folgejahre sind nicht auffindbar. Wo weiter suchen?
Immer wieder versuchte ich, neue Rechercheansätze zu finden.
Ich stieß auf die Information, dass der Bürgermeister von Falkensee, Heiko Müller, SPD, im Plastverarbeitungswerk gearbeitet hatte und ich hatte nichts zu verlieren. Ich rief also sein Büro an und die sehr freundlichen Damen in seinem Büro waren sofort bereit, mir einen Termin zu geben.
Herr Müller hatte schon im Gespräch eine Idee zu einem Kontakt mit jemandem, der vielleicht helfen konnte, H.P. Gesagt, Kontakt hergestellt. Herr P. hat sofort den Projektverantwortlichen kontaktiert. Die Geschichte des Sommerbads Staaken West ist nun vollständig. So vollständig sie sein kann, 45 Jahre nach dem der Beschluss gefasst wurde, das Bad zu bauen.
So ein Bürgermeister hat sicher was anderes zu tun, als sich um einzelne Schwimmbadenthusiasten zu kümmern, aber er hat sich die Zeit und Mühe gemacht, mir zu helfen. Vielen Dank dafür.
Andre Görke machte meine Suche immer wieder zu einem Thema im Newsletter, das hat mich immer wieder motiviert und ich bedanke mich dafür.(Quelle Artikel: Zefys, Neue Zeit 1974)
Hier nun das Ergebnis meiner Recherchen zu einem meiner Lieblingssommerbäder in Berlin
Der Ortsteil Staaken West hat eine der interessantesten, aber auch tragischsten Geschichten, die so nur unter den Allierten und dem Mauerbau entstehen konnten. Staaken West gehörte zunächst zu Berlin West unter den drei Westalliierten, wurde dann besetzt und landete schließlich in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ). Ost Staaken hingegen verblieb unter den den Westmächten. Die damalige Grenze, scheinbar willkürlich, verlief ungefähr in der Mitte des Nennhauser Damms. Die Bergstraße gehörte zum Westen, die Weidenstraße zum Osten. Ein schöner Eindruck im Bild ist hier zu sehen, eine gute Beschreibung hier im Tagesspiegel von Andreas Conrad
Nachdem mein Besuch im Landesarchiv Potsdam Golm vergeblich war im Bezug auf das Staakener Sommerbad, wurde ich woanders fündig
Zu einem Freibad gehörten natürlich auch Garderoben, Liegewiesen und Spielpätze. Die Rutsche am Nichtschwimmerbecken war obligatorisch.
Gemeinderatssitzung Staaken im Jahr 1973 Tagesordnungspunkt 5
"Informationen über den Stand der Vorbereitungen zum Bau eines Schwimmbads"
Die damaligen Abgeordneten (namentlich bekannt, zum Schutz der Personendaten hier nur mit Anfangsbuchstaben) S., F. und R. konsultierten im Vorfeld das "Wissenschaftlich Technische Zentrum" (WTZ) Sportbauten der damaligen *DDR* in Leipzig. Dort war man sehr interessiert und sagte Unterstützung zu.
Das war damals beim Bau eines Schwimmbads nichts wirklich ungewöhnliches, sehr wohl aber im Falle des heutigen Sommerbad Staaken.
Freibadanlagen bestanden aus einem 50 x 21 Meter Schwimmbecken und ein 25x 15 Meter Nichtschwimmerbecken soweit das zu recherchieren war. Wie im Westen des Landes auch, wurden Schwimmbecken mit Kacheln, respektive Fliesen, versehen. Einige bekamen lediglich einen Putz mit Anstrich.
Es war damals gewünscht, solche Freibäder nicht als Einzelanlagen zu planen, sondern sie an vorhandene Sportanlagen anzubinden.
Die Standortfrage, die in den Gemeinderatssitzungen erörtert wurde, war damit geklärt.
Dort wo sich schon damals die Sportanlage befand, würde das Bad entstehen müssen.
In der Karte von 1974 hab ich gekennzeichnet, wo das Bad gebaut werden sollte.
Drum herum waren Betriebe angesiedelt. Kreiskrankenhaus, VEB Plastverarbeitungswerk und weitere.
Plastikdosen, Partyspiesse, Küchenreiben
Etwa 1100 Mitarbeiter stellten Ende der 1980 er Jahre in Staaken in der Hauptsache Alltagsgegenstände aus Plastik her.
Was diese Alltagsgegenstände mit dem Sommerbad Staaken zu tun haben?
Der Vater des Schwimmbads
Im "VEB Plastverarbeitungswerk" arbeitete W.S., der die Idee hatte aus Glasfaser gestärktem Polyesterharz Platten ein Schwimmbecken herzustellen.
Die Idee entstand, weil die Kinder aus Staaken zum Schwimmunterricht nach Falkensee mussten.
S. war nicht nur der maßgebliche Mann mit der Idee und dem Engagement, als Gemeinderatsmitglied konnte er auch seine Kollegen und Anwohner und Verantwortliche in der WTZ Leipzig begeistern für das Projekt.
Zunächst war nicht entschieden, ob es nur der schulischen Ausbildung, also dem Schwimmunterricht dienen oder der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen sollte.
Die Gemeinderatssitzung am 17.10.1973 entschied zugunsten der Gesamtbevölkerung.
Die Maße des Schwimmerbeckens sollten 25 x 12,5 Meter betragen,ein Nichtschwimmerbecken und ein Planschbecken sollte ebenfalls gebaut werden. Das oben genannte WTZ stimmte mit einer Sondergenehmigung dem Bau einer Freibadanlage außerhalb der Norm zu.
Ein Statiker wurde hinzu gezogen.
Unterlagen, die nicht existieren kann man nicht finden
Gesichert war zum Zeitpunkt der Sitzung und des folgenden Ratsbeschlusses nur die Finanzierung des Schwimmbeckens. Der "VEB Plastverarbeitung" würde die Kosten des Materials und der Fertigung der Platten von 60.000 Mark tragen.
Der Bau einer ordentlichen Freibadanlage sollte nach den Möglichkeiten der Gemeinde und in Etappen erfolgen.
An den Kosten für Garderoben, Sanitäreinrichtungen und Personal sollten sich die umliegenden Betriebe finanziell und materiell beteiligen. Die Beschaffung der Umwälzpumpe war schwierig und zu diesem Zeitpunkt völlig ungeklärt.
Trotzdem wurde beschlossen, dass die Fertigstellung des Schwimmbeckens bis Mai 1974 erfolgen sollte.
Aus Folgeakten lässt sich recherchieren, dass mit den Erdbauarbeiten im Frühjahr 1974 begonnen wurde.
Diese Eiligkeit hatte mit den 25 Jahrfeiern der *DDR* im Oktober 1974 zu tun.
Akten der Folgejahre sind nicht auffindbar.
Weitere Dokumentionen in und aus Betrieben gibt es nicht. Einfach weil zwar die Arbeitseinsätze, aber nicht Materiallieferungen und sonstige Leistungen dokumentiert wurden.
Zunächst wurde das Nichtschwimmerbecken gefertigt. 4x 6 Meter, schräge Wände, gefertigt aus einzelnen Platten von 1 Meter Breite.
Es kam dann doch etwas anders als geplant.
Es fehlte an Geld, es fehlte an Material.
Ein Architekt (Herr F., soweit recherchierbar ist) entwarf unentgeltlich die Gebäude, Umkleide- und Sanitärräume. Zwischen 1974 und 1976 wurde die Schwimmbecken gebaut und die Anlage Schritt für Schritt fertig gestellt. Gebaut wurden die Außenanlagen dann in freiwilligen Arbeitseinsätzen von 1978-1979. Beteiligt waren umliegende Betriebe und deren Facharbeiter und Jugendliche. Das Material war quasi die Spende der Betriebe.
Um die Frage, wo man die Umwälzpumpe her bekommen konnte, zu klären, wurde der VEB Wasserwirtschaft in Falkensee um Hilfe gebeten. Dortige Verantwortliche setzten sich mit dem VEB Wasseraufbereitungsanlagen Markkleeberg in Verbindung und auf vielen, heute nicht mehr nachvollziehbaren, verschlungenen Pfaden, gelangte man an die benötigte Umwälzpumpe.
Eröffnung in den Sommerferien
Am 01. August 1980 war es soweit.
Die Anlage wurde ihrer Bestimmung ohne große Feierlichkeiten übergeben. Mit Schuljahresbeginn im September konnten die Staakener Kinder dort schwimmen lernen.
Ohne die Initiative, das Engagement und die Hartnäckigkeit bei der Verwirklichung der Idee von W.S gäbe es in Staaken West heute kein Sommerbad.
Eine bis heute einmalige Anlage, mit einer sicher alten Technik, die aber solide funktioniert.
Das 25 Meter Becken wurde Anfang der 1990 er Jahre mit einem Edelstahlbecken versehen, aber ansonsten ist das Sommerbad noch so, wie es mal angelegt wurde.
Betritt man das Bad, liegt rechts das Gebäude mit den Sanitäranlagen, rechts finden sich die Umkleideräume und nachträglich eingebaute Föhne. Mit 5 Cent Münzen zu nutzen. Gleich daneben eine einfache, aber sehr freundliche Gastronomie mit zivilen Preisen.
Am Sanitärgebäude findet man Wertfächer, nutzbar mit Ein Euro Münzen als Pfand.
Eine super gepflegte Grünanlage, Schatten- und Sonnenplätze und, was ich besonders wichtig finde, aber offensichtlich für den Betreiber Nebensache zu sein scheint, weil das in den wenigsten Sommerbädern zu finden ist, Mülleimer mit festen Deckeln.
Supersauber sind auch die sanitären Anlagen. Einfach, aber modern, scheinbar regelmäßig geputzt. Die Duschen sind recht klein, aber sie laufen lange genug und Ablagen und Haken sind nicht so zahlreich.
Fazit
Ein Nichtschwimmerbecken, das größer ist als die ursprünglich geplanten 4x 6 Meter, ein Schwimmerbecken von 25 Metern, Edelstahl ausgekleidet. Und, besonders erwähnenswert, mit einer abgeleinten Bahn.
Die Mitarbeiter sind, zumindest zum großen Teil aus dem Stadtbad Spandau Nord. Damit ist jedem klar, in diesem Bad werden Bäderbesucher sehr freundlich empfangen
Das tollste in diesem Sommerbad und ein Alleinstellungsmerkmal in Berliner Bädern: der mit Hecken und einem kleinen Türchen abgetrennter Bereich für Familien mit Kindern. Es wird darauf geachtet, dass hier Ruhe vor Störern herrscht. Das liebevoll angelegte Planschbecken ist ein Highlight in diesem Bad.
Auch wenn es für viele ein weiter Weg scheint, raus nach Staaken, es lohnt sich. Für Schwimmer, für Familien mit Kindern. Für jeden.
Öffnungszeiten
Die Berliner Bäderbetriebe scheinen dieses Idyll stiefmütterlich zu behandeln. Ständige Unsicherheiten zu Öffnungszeiten, geringe Besucherzahlen- die möglicherweise ihre Ursache darin haben, dass das Bad für Berufstätige kaum nutzbar war und dieses Jahr schon wieder die unsägliche Diskussion, ob das Bad überhaupt öffnen kann. Nachdem 2017 nur in den Sommerferien geöffnet war und das auch noch mit unzuverlässigen Öffnungszeiten, klagt der Betreiber, dass nur gut 9000 Besucher im Bad gezählt wurden.
Zum Vergleich: das Strandbad Wannsee hatte bei vergleichbarer Wetterlage im März und September 2017 gut 6000 Besucher binnen 6 Wochen. Dort stellt sich nie die Frage einer Öffnung- im Gegenteil. Egal wie das Wetter ist, das Strandbad öffnet Karfreitag und Fragen nach einem Herbst/ Winterbetrieb werden von den Berliner Bäderbetrieben mit "nicht für den Winterbetrieb konzipiert" beantwortet. Was genau für die Betreiber "Winter" ist, wird nie klar sein. Jeder kennt "Wetteraussagen". Da werden zur gleichen Zeit Sommerbäder verlängert aufgrund des Wetters geöffnet, während andere Sommerbäder aufgrund des gleichen Wetters am selben Tag schließen.
Lange Rede- kurzer Sinn, der "Größte Bäderbetrieb Europas" sollte sich dringend besinnen, die Schätze, die in seiner Betreiberpflicht stehen, so zu öffnen, dass alle die Bäder nutzen können.
Es stünde den Berliner Bäderbetrieben gut zu Gesicht, sich endlich um die Geschichte der einzelnen Bäder zu kümmern und sie so zu dokumentieren, dass die interessierte Öffentlichkeit daran teilhaben kann.
Die wohl einmalige Geschichte des Sommerbads Staaken West ist es wert erhalten zu werden.
Und das Sommerbad muss den Staakenern und allen anderen zur Verfügung gestellt werden.
Wie ich erfuhr, werden zwischen der Ruine Krankenhaus und Grenze Sommerbad Wohnungen entstehen. Alles potentielle BäderbesucherInnen der Zukunft.
Der "Größte Bäderbetrieb Europas" täte gut daran, zu realisieren, dass zum Beispiel Gäste aus Falkensee die Spandauer Hallenbäder besuchen. Bäder werden heute in Zeiten der Mobilität nicht mehr nur von fußläufig entfernt wohnenden Besuchern genutzt. Bäder müssen sich deutlich auch für Gäste positionieren, die auf dem Weg zur und von der Arbeit oder auch gezielt aufgesucht werden wegen ihrer Besonderheit.
12.04.2018 Nachdem in Medien zu lesen war, das Sommerbad in Staaken West könnte vielleicht von der DLRG betrieben werden, nun das Wort des Senats: nicht geplant...
Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus zum Thema. Original hier
Geplante Saison 2018
05.07. bis 19.08.2018
täglich von 10-20 Uhr
Alle namentlich genannten Personen haben ihr Einverständnis zur Nennung gegeben
Quellen:
Zeichnung Freibadanlage WTZ Leipzig
Umgebungskarte Histomap Beuth Hochschule
Bild im Kreisarchiv Friesack