Seit nun gut zwei Monaten fahre ich wieder mit dem Fahrrad.
Ein gemietetes, ein eigenes ist finanziell leider (noch) nicht leistbar. Naja, und das Mieten ist auch ein guter Test, ob ich nach gut 20 Jahren überhaupt wieder in dieser Stadt fahren will.
Spoiler: Nö, von wollen unter diesen Umständen kann gar keine Rede sein.
Aber ich will Rad fahren, weil es mir Spass macht, etwas unabhängiger von Bussen und Bahnen mit Menschen ohne Abstand, ohne Anstand und ohne Maske zu sein. Und weil Rad fahren an sich mich in Berliner Ecken führt, die ich sonst- also mit der Orientierung der Busfahrer*innen- eher nicht sehen würde.
Und was hat das mit schwimmen zu tun?
Nichts oder nur insofern, dass ich im Anschluss das Schwimmbad aufsuche, das am nächsten dran ist. Oder direkt zum Schwimmbad fahre. Oder einfach ans Wasser.
Also Rad fahren, um den Teich, die Mühle, Bunker etc. walken, Rad fahren, schwimmen.
In loser Abfolge werde ich über meine Erfahrungen und Erlebnisse beim Rad fahren erzählen. Der nun dritte Beitrag dreht sich um ein Phänomen das ich von früher nicht kenne. Oder vielleicht habe ich es nicht wahrgenommen. Vielleicht ist es neu. Männer, also es sind nur Männer, die selbst bei schlechtem Wetter ihr Fenster am Fahrzeug öffnen, um Frau anzupöbeln.
Schreiende Männer in und auf ihren fahrbaren Kisten
Das erste Mal aufgefallen ist mir das auf dem Radweg am Mariendorfer Damm.
Recht leere Straße, Vormittag, kein parkendes Fahrzeug auf dem Radweg. Plötzlich höre ich einen Mann schreien aus einem Auto. Erst war mir nicht klar, dass dieses verzerrte Gesicht mit grauem Bart und grauem Haar auf dem Kopf mich meint. "Na, du alte ...sexistisches Wort.... Verp*** dich von der Straße"
Äh, ja, nee. Ich war auf einem benutzungspflichtigen Radweg, der auf dem Damm statt Parkplätzen, derzeit für den Schienenersatzverkehr eingerichtet ist.
Es war nicht das erste Mal, dass irgendein Gebrüll irgendwo her kam. Ich hatte dem bisher keine Beachtung geschenkt. Ich bin meist beschäftigt damit, zu überleben.
Muss ich auf Straßen fahren, wird gehupt, werde ich ausgebremst von entgegen kommenden Fahrzeugen. Überholt ohne ausreichend Abstand, so dass ich oft schon gedacht habe "Ziel ist, Rad fahrende umbringen". In teilweise vielspurigen Straßen, auf denen auf beiden Seiten legal, aber gern auch illegal geparkt wird. Es ist dann kein Platz für zwei Autos, die aneinander vorbei fahren. Mir ist aufgefallen, dass die meisten entgegenkommenden nur dann halten, ausweichen, wenn hinter mir ein Auto fährt. Ansonsten wird drauf gehalten. Oft sehr knapp an mir vorbei, der vorgeschriebene Abstand wird selten eingehalten. Bisher eskalierte es 'nur' einmal.
Nötigung
Ich bin in eine kurze Straße eingebogen und sah links einen Mann, der irgendwas am Zaun oder Pfeiler machte. Rechts standen so 200 Meter weiter zwei Frauen an einem grünen Zaun.
Dann sah ich, wie aus der Straße, auf welche die kleine zuführt, ein weißes Auto einbog.
In der kurzen Straße ist eigentlich Platz für drei Spuren. Eine rechts, dort sind Parkplätze. Und links stehen Autos auf der Straße, also auch Parkplätze. Dadurch ist der befahrbare Platz so schmal, dass zwei Autos nicht aneinander vorbei kommen. Von einem Radweg kann man nur träumen...
Auf beiden Seiten sind schmale Bürgersteige.
Fährt hinter mir ein Auto, weichen die entgegen kommenden aus, halten an, fahren zurück. Sie haben die Hindernisse vor sich. Fahre nur ich dort, weichen die wenigsten aus. Ich fahre dann auf einen freien Parkplatz rechts.
An einem Tag war es so, dass alle Parkplätze rechts belegt waren und an den Bäumen, geschützt mit Metallbögen, damit sie nicht platt geparkt werden, konnte man nicht ausweichen.
Das oben erwähnte Auto, respektive sein Fahrer, bog ein, fuhr auf mich zu, obwohl auf seiner Seite mindestens zwei Lücken waren.
Ich bremste also, stand quasi nur wenig versetzt vor ihm. Zwischen mir und dem Wagen war nach vorn vielleicht 50- 100 cm Platz, seitlich vielleicht 50cm. Er machte das Fenster runter. Er sagte:"Und jetzt. Wo soll ich hin?" Ich sagte:"Sie haben mich doch gesehen, fahren sie bitte in die Lücke hinter ihnen" und weil er keine Anstalten machte, ich konnte nirgends hin:"Sie haben die Hindernisse vor sich gehabt, sie hätte schon unten warten müssen und hinter ihnen ist Platz" Ich dachte, er pöbelt gleich los, er war so aggro.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass er los fährt. Genau das tat er.
Ich hatte echt Angst, dass der mich umfahren will. Also Rad nach rechts gerissen, gekippt. Aus den Augenwinkeln gesehen, er parkt etwa hundert Meter weiter ein. Ich weiß nicht, wie, aber ich bin auf das Rad gestiegen, los geradelt und an dem Auto abgestiegen, auf den Bürgersteig, Handy raus, Foto. Ich wollte die Autonummer haben. Ich dachte, der wäre längst ausgestiegen, ich hatte nicht so wirklich ein Zeitgefühl. Er war noch im Wagen, stieg dann aus, kam auf mich zu: "Was wollen sie von mir?" Ich:"Sie haben mich fast umgefahren, ich bin gefallen und sie sind abgehauen" Er kam näher, also habe ich echt gebrüllt "Gehen sie auf Abstand" und "Ich ruf die Polizei."
Das Ganze war auf Höhe des arbeitenden Mannes... Der schaute, aber verschwand dann später, als die Polizei kam. Feiger Kerl.
Der Autofahrer ging weg.
Die Polizei
Beide Polizisten waren sehr nett. Ermittelten vor Ort den Halter, befragten Nachbarn und baten mich darum, ein Foto machen zu dürfen von meiner Sichtbarkeit.
Ich trug eine leuchtende Warnweste in Neonfarben, einen leuchtenden Helm, das Licht am Rad ist immer an, die Hose war mit weiß roten auffälligen Streifen. Meine Sichtbarkeit wurde von der Polizei nicht in Frage gestellt. Man hätte bei meinem Anruf das als Verkehrsunfall geführt, nach meiner Schilderung sei es allerdings eine Nötigung. Der eine Polizist erklärte mir sogar die Abstandsregel- die ich kennem aber ich war echt perplex und erschrocken- und dass die, nach meiner Schilderung, gar nicht eingehalten worden sein kann. Nee, wurde sie nicht. Hätte ich das Rad nicht weg gerissen, hätte das Auto einen Kratzer oder ich schwerere Verletzungen. So bin ich mit einem echten Schreck- ich war am zittern und irgendwie verwirrt von so viel Dreistigkeit und blauen Flecken und einem schmerzenden Knie davon gekommen. Die Polizei hat mir mehrfach gesagt, wenn doch noch was ist, soll ich die 112 anrufen. Ich fand diese mehrfachen Hinweise sehr fürsorglich.
Beleidigungen und Bedrohungen
Zurück zum Thema, die schreienden Männer.
Wie geschrieben, ich habe zunächst nicht darauf geachtet. Nach dem Vorfall am Mariendorfer Damm habe ich angefangen mir Stichworte aufzuschreiben. Also wo, was, wie alt und Straßensituation.
Es sind (bisher, bis auf ein Mal) nur Männer, die schreien aus ihren Fahrzeugen heraus.
Zuletzt gestern an der Rixdorfer Straße. Ich war schon auf dem Radweg, der nicht direkt neben der Straße lang führt. Ein Mann hatte vom Beifahrersitz geschrieen: "Na, deine langen Beine würde ich gern mal..." Den Rest hab ich nicht gehört, weil der Bus gerade kam und an der Haltestelle- zwischen Radweg und Straßenspur auf der der Wagen stand- hielt.
Ich wurde bedroht:"Ich hol dich vom Rad, du blöde Kuh" und "Fahr rechts oder ich hol dich vom Rad", ohne Anlass, in der Sangerhauser Weg (kurze Straße, rechts Kleingärten, links Tennishalle und der Eingang zum Britzer Garten), zwei Mal hintereinander an einem Tag, binnen vielleicht drei Minuten. Beides Männer, um die Mitte 40.
Ich wurde mit allen möglichen, fast immer auch sexistischen Beleidigungen belegt. Ich werde angehupt, selbst wenn ich nur an der Ampel stehe. Immer, bis auf einmal, waren es Männer. Immer zwischen Mitte 40 und 80 von meiner Einschätzung her.
Und das nicht nur aus dem Auto, wenn auch meist.
Auch männliche Radfahrer sehen sich offensichtlich im Recht, mich abzudrängen, sich umzudrehen und mich blöde anzulabern.
Ich las neulich einen Artikel über das Rad fahren und die damit verbundene Freiheit für Frauen. Vor hundert Jahren...Sie wurden mobiler, konnten aus ihrer Umgebung entkommen, ihre Kleidung wurde zweckmäßiger. Es waren Männer, die viel taten, um zu verhindern, dass Frauen Rad fuhren. Die Moral wurde bemüht, Unfruchtbarkeit behauptet und vieles mehr.
Und ich dachte so beim lesen, viel geändert hat sich seither nicht.
(Bild Quelle: Zeitschrift fahrrad.de)
Was mich am meisten an diesen Erfahrungen erstaunt, dass Menschen mit eher mehr Lebensjahren so dermaßen aggro sind. Ich meine, solchen Leuten müsste man den Führerschein entziehen. Sie sind nicht imstande, Leute, Frau, auf dem Rad einfach nur fahren zu lassen. Sie schreien fast immer ohne jeden Anlass- ich mach bestimmt auch Fehler, würde einen Ausbruch dann eventuell verstehen. Frau steht an Ampel, Mann macht extra das Fenster runter, um sexistisch los zu brüllen. Sie schreien aus den fahrenden Fahrzeugen. Sie kommentieren Kleidung anzüglich. Deren Fetisch muss die Warnweste oder Fahrradhosen oder Helme sein... Und ich wette, das passiert nicht nur mir...